Ein Gastbeitrag der AG Verkehr und Mobilität
Deutschland ist ehrgeizig
„Hochlauf Elektromobilität“, „Leitmarkt Elektromobilität“, „Ausbau der Ladeinfrastruktur muss dem Bedarf vorausgehen“ und weitere knackige Formulierungen finden sich im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grüne wieder.
Auch wenn Worte wie „Verkehrswende“ oder „Antriebswende“ in diesem Papier nicht vorkommen, ist das Ziel dennoch recht deutlich: Irgendwann, nach den Plänen der EU ab 2035 nur noch Neuzulassungen CO₂-neutraler Fahrzeuge, Ausstieg aus dem fossilen Verbrenner und Schwenk auf die Elektromobilität.
Dabei mag es uns aktuell gar nicht um das Ziel gehen, bis 2030 15 Millionen Elektro-PKW auf den Straßen zu haben. Dies ist angesichts der aktuellen Zahlen [1] von ~1 Mio Fahrzeuge ziemlich ambitioniert. Doch auch hier hat sich bereits die vorherige Bundesregierung mit einer „Innovationsprämie“ sehr ins Zeug gelegt, den Absatz von rein batterieelektrischen (BEHV) und leider (!) sogenannten „Plug-in-Hybriden“ (PHV) anzukurbeln. Diese Förderung bei Neuzulassungen unterliegt einigen Kriterien, die hier nachzulesen [2] sind.
Diese Förderrichtlinie wurden nun auch durch die neue Bundesregierung verlängert und soll erst einmal bis Ende 2022 weiterlaufen und dann nochmals auf den Prüfstand gestellt werden [3].
Dass der zuständige Minister dann immer noch erwägt PHV zu fördern, ist angesichts der Herausforderungen im Bereich Klimaschutz und der politischen Herkunft als völlig absurd zu bezeichnen. Aber auch darum soll es uns nicht gehen.
Diese schiere Anzahl an Elektrofahrzeugen benötigt zum Laden zwei Dinge.
- Strom
- Eine Ladeinfrastruktur.
Dass hierbei bereits jetzt selbsternannte „Autopäpste“ den Ruf nach Atomkraft ins Spiel bringen, um den Strombedarf abzudecken, das Beleuchten (und verlinken) wir an dieser Stelle nicht. Hierfür ist eine entsprechende Ladeinfrastruktur erforderlich, das dürfte allen klar sein.
Schon unter der alten Regierung wurde die Förderung der Ladeinfrastruktur auf den Weg gebracht. Die entsprechenden Förderrichtlinien können hier eingesehen werden [4].
Doch darum soll es zunächst nicht gehen. Dass eine „Anschubfinanzierung“ (egal ob für Privatpersonen oder für die öffentliche Ladeinfrastruktur) sinnvoll ist, davon sind wir überzeugt.
Weiße Flecken … oder: Wo die Gießkanne nicht oder zu viel gießt.
Worum es uns geht, beruht auf einer Anfrage der „Linken“ [5] an das Bundeswirtschaftsministerium. Selbst wenn die 25.376 Ladeeinrichtungen mit 49.207 Ladepunkten noch einen langen Weg bedeuten, bis das Ziel der angestrebten 1 Million öffentlicher Ladepunkte, wie im „Masterplan Ladeinfrastruktur der Bundesregierung – Ziele und Maßnahmen des für den Ladeinfrastrukturausbau bis 2030“ dargestellt[6], erreicht werden kann.
Die Sprengkraft in der Antwort versteckt sich dabei weniger in den vorgelegten Zahlen zur reinen Anzahl der öffentliche Lademöglichkeiten. Der Antwort des Wirtschaftsministerium zufolge haben beispielsweise 6.516 der 10.796 Gemeinden in Deutschland überhaupt keine öffentliche Lademöglichkeit für Elektroautos. Das sind mehr als 60 Prozent. Und unabhängig der reinen Anzahl ist dann auch noch die Verteilung über die Bundesländer hinweg sowie auch in den Bundesländern selbst höchst heterogen. Konkrete Ergebnisse lassen sich für die Bundesländer hier abrufen [7]. Oder, wer es dann noch genau wissen mag, wie es in seiner Stadt oder Gemeinde ausschaut, hier [8].
Warum ist uns das so wichtig?
Aus den dargelegten Zahlen und Daten wird ziemlich schnell deutlich, dass bei der Definition der Förderrichtlinie [4] nur an die Gießkanne gedacht wurde. Die Art Fördergießkanne, die völlig unabhängig des wirklichen Vor-Ort-Bedarfs Fördermillionen ausspuckt. Die unabhängig von Begleitforschung, Controlling, Evaluierung oder Einbeziehung des tatsächlichen gesellschaftlichen Bedarfs einige Betreiber mit einem Geldsegen überschüttet.
Nun mag man sagen, dass es noch eine Förderrichtlinie war, die unter A. Scheuer (CSU) entwickelt wurde. Und die eben deswegen genau so ausschaut wie sie ausschaut.
Völlig unverständlich hingegen ist, dass die neue Regierung, und hier das „Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr“ unter Führung der FDP offensichtlich auch keine Handlungsnotwendigkeiten erkennt.
Grundsätzlich sprechen wir uns dafür aus, die Förderung der Errichtung von öffentlicher Ladeinfrastruktur beizubehalten.
Gezielt wässern statt Gießkanne
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, den „Masterplan Ladeinfrastruktur“ und die entsprechende Förderrichtlinie so anzupassen, dass eine Förderung (auch gern gestaffelt) unter Berücksichtigung mindestens folgender Aspekte verändert wird:
- Wie hoch ist der Bestand an öffentlichen Ladesäulen/Ladepunkten in der jeweiligen Gemeinde, dem jeweiligen Landkreis, …?
- Wie hoch ist der aktuelle Bestand an batterieelektrischen Fahrzeugen in der jeweiligen Gemeinde, dem jeweiligen Landkreis, …?
- Wie entwickeln sich die Zulassungszahlen von batterieelektrischen Fahrzeugen in der jeweiligen Gemeinde, dem Landkreis, …?
- Wie ist der Anbindungsgrad des öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bzw. öffentlichen Personenschienenverkehr (SNV) in der jeweiligen Gemeinde, dem Landkreis, …?
- Welche Maßnahmen verändern perspektivisch (innerhalb des Förderzeitraums) den Anbindungsgrad des ÖPNV/SNV in der jeweiligen Gemeinde, dem Landkreis, …?
- Welchen Ausbaugrad hat das Radwegenetz in der jeweiligen Gemeinde, dem Landkreis, …?
- Welche alternativen Möglichkeiten (Co-Working-Areas, Car-Sharing-Angebote, Shuttle-Busse, Fahrgemeinschaften, …) sind im definierten Einzugsbereich vorhanden?
- Wie kann eine Ladeinfrastruktur so aufgebaut werden, dass „weiße Flecken“ vermieden werden?
- …
Natürlich lassen sich für eine wirkliche Bedarfserhebung weitere statistische Faktoren oder Daten einbeziehen.
Von daher fordern wir neben der Anpassung des Masterplans sowie der Förderrichtlinie auch eine unabhängige, begleitende Evaluierung. Diese soll dazu führen, dass die Förderrichtlinie jährlich an den wirklichen Bedarf vor Ort angepasst werden muss.
Und wo es weniger notwendig ist, soll auch weniger gefördert werden. Dies würde nicht nur das „Rosinen picken“ erschweren.
Nur so lassen sich Fehlinvestitionen vermeiden und wir können die Gießkanne ersetzen durch punktuelles, gezieltes Wässern von den Pflanzen, die es zu diesem Zeitpunkt wirklich nötig haben.
Ein letzter, wichtiger Punkt
Ganz unabhängig der Förderhöhe oder dem Bereitstellungsort der Ladesäulen ist es nach wie vor ein Armutszeugnis, dass der verpflichtende barrierefreie Zugang zu allen öffentlichen Ladeinfrastrukturen immer noch kein Bestandteil der Förderrichtlinie ist.
Auch wenn Aktivitäten und Aktionen wie die zwischen der „Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur“ und dem Berliner Verein „Sozialhelden und -heldinnen“ sehr zu begrüßen sind: Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, Barrierefreiheit bereits im Rahmen der Definition von „Masterplänen“ oder „Förderrichtlinien“ proaktiv zu berücksichtigen. Und auf deren Einhaltung zu drängen.
Gesellschaftliche Teilhabe darf in keinem Fall vor der Ladesäule enden.
Insofern fordern wir den Gesetzgeber auf, dies bei der überfälligen Anpassung der Förderrichtlinie zu berücksichtigen.
[2] https://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/Energie/emob_merkblatt_2020_1021.html?nn=13683754
[6] https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/masterplan-ladeinfrastruktur.pdf?__blob=publicationFile
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